Ausflug in die Selbständigkeit – Geflüchtete Mütter lernen Alltag
Ausflug in die Selbständigkeit – Geflüchtete Mütter lernen Alltag
Wenn wir uns um geflüchtete Kinder und Jugendliche kümmern, heißt das natürlich auch, dass wir auch die Eltern unterstützen. Das Ankommen in Deutschland ist schon schwierig genug, die Erlebnisse müssen verarbeitet werden und dann die fremde Sprache. Hinzu kommen Alltäglichkeiten, die für uns völlig normal sind, aber für geflüchtete Menschen eine fast unüberwindbare Hürde darstellen können.
Unsere Mitarbeiterinnen sind in verschiedenen Geflüchtetenunterkünften in Köln unterwegs und empowern vor allem die Mütter zu mehr Selbständigkeit, geben Hilfestellungen und wertvolle Tipps. Für viele von ihnen ist der Umgang mit Geld, Bankgeschäften und allem, was damit zu tun hat, nicht selbstverständlich.
Ich gehe mal eben zur Bank …
Das sagt sich so leicht, wenn man hier aufgewachsen ist, und der Automat deine Sprache spricht. Dennoch sind Dinge, wie Geld abholen, Zinsen bei Überziehung des Kontos, Überweisungen, Umgang mit Geld etc. notweniges Alltagswissen.
Eine Frau in der Gruppe war sehr aufgeregt, als sie vor dem Geldautomaten steht: „Ich habe richtig Herzklopfen. Sowas habe ich noch nie gemacht.“ gibt sie zu. Einfühlsam erklären unsere Mitarbeiterinnen die fremde Technik und das Prozedere. Dabei werden die Tasten und Anzeigen übersetzt und die Bedeutungen erklärt. Natürlich wird auch fleißig geübt: Es werden Ein- und Auszahlungen getätigt und Kontoauszüge ausdruckt. Die Frauen sind sehr interessiert und stellen Fragen, schließlich geht es um ihr Leben und das ihrer Kinder. Mehr Unabhängigkeit, gerade in Finanzangelegenheiten, bedeutet mehr Sicherheit für die Familie.
In der Postfiliale oder am Automaten
Amtsschreiben, Päckchen, Einschreiben oder sonstige Post will auch richtig frankiert auf den Weg gebracht werden. Gemeinsam werden die Briefmarkenautomaten erkundet und geübt, wie man die Adresse richtig auf den Umschlag platziert. Und natürlich werden gleichzeitig alle neu gelernten Vokabeln gepaukt.
Der Ausflug war für die Mütter sehr aufregend, sie haben viel Neues gelernt. Gemeinsam lassen sie bei einem Glas Tee den Tag Revue passieren und besprechen noch offene Fragen. Das nächste Mal haben sie bestimmt schon so viel mehr Selbstsicherheit, um die „kleinen Alltäglichkeiten“ selbstständig erledigen können.
Kinder- und Jugendarbeit – Arbeit mit der ganzen Familie
FAIR.STÄRKEN arbeitet viel mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen, die oftmals Gewalterfahrungen, Flucht und Ausgrenzung in ihren jungen Jahren erleben mussten. In unseren Angeboten empowern wir vor allem die Mütter, geben ihnen Sicherheit und Perspektiven, versorgen sie mit notwendigem Wissen, um in ihrer neuen Heimat richtig anzukommen und sich auch Willkommen zu fühlen. Wir nehmen ihnen dadurch viel Stress, geben Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein. Das kommt dann der ganzen Familie zugute.
Bericht: Claudia Heinrich
Fotos: FAIR.STÄRKEN e.V.
Vom Teilnehmer zum Trainer – Als Praktikant bei FAIR.STÄRKEN
Vom Teilnehmer zum Trainer – Als Praktikant bei FAIR.STÄRKEN
Wir stellen euch heute Cederik vor. Er war, seit er 11 Jahre alt ist, in einem unserer Gruppentrainings zum Sozialen Lernen. Eine Trainerin hatte ihn damals angesprochen, ob er nicht Lust hätte, bei unserem außerschulischen Angebot mitzumachen. Heute ist er 16 Jahre alt und macht bei FAIR.STÄRKEN ein Praktikum. Wir freuen uns, dass er uns Rede und Antwort steht und etwas über sich, seine Motivation und seine Pläne für die Zukunft erzählt.
Wie hast du dich verändert, seit du bei dem Gruppentraining von FAIR.STÄRKEN mitmachst?
Früher habe ich mich öfter provozieren lassen und war leicht reizbar. Dann hat sich bei mir sowas wie ein Schutzmechanismus ausgelöst, und ich musste mich in meinen Augen dagegen „wehren“. Im Training habe ich viel gelernt. Heute reagiere ich entspannter. Ich kann die Situationen besser einschätzen, ob es bedrohlich ist oder nicht. Ich habe gelernt, dass Gewalt keine Lösung ist und wie man anders reagieren kann.
Du warst vier Jahre bei den Gruppentrainings von FAIR.STÄRKEN dabei, was hat dir besonders gut gefallen?
Ich fand es schön, mit anderen Kindern und Jugendlichen etwas zu unternehmen. Man hatte auch immer jemanden, dem man vertrauen konnte. Ich bin super mit den Trainern und Trainerinnen zurechtgekommen. Wir haben viel zusammen gemacht. Zum Beispiel sind wir Schlittschuh gelaufen oder in den Kletterpark gegangen.
Besonders haben mir die Fahrten in das Tipi-Dorf in der Eifel gefallen. Wir hatten unheimlich viel Spaß miteinander und haben viel erlebt. Hier habe ich auch richtig Bogenschießen gelernt. Anfangs habe ich kaum getroffen, und jetzt treffe ich fast immer in die Mitte. 😉
Bei der Ferienfahrt haben wir auch gelernt, viel selbständiger zu sein. Auch konnte man da in der Natur super abschalten und den Alltag vergessen. Da gibt es keinen Stress, und man kommt gut runter. Auch das Handy-Verbot zu bestimmten Tageszeiten hat mir gefallen. Irgendwann hat man nicht mehr dran gedacht. Es gab einfach viel anderes zu tun …
Warum machst du das Praktikum bei uns?
Da ich schon mehrere Jahre bei FAIR.STÄRKEN bin, wollte ich das auch mal aus der Sicht eines Betreuers sehen und erleben. Im Büro habe ich dann mitgeholfen, z.B. Spielsachen für die Kinder sortiert und hier den Tagesablauf kennengelernt. Ich bin bei Ausflügen mit Menschen aus einer Geflüchtetenunterkunft dabei gewesen. Beim Gruppentraining der „Coolen Pänz“ habe ich dann im „Luftschwerter-Kampf“ selbst mit den Kindern die Stopp-Regeln geübt. Es war manchmal komisch, aber auch interessant, so ein Training mal aus anderer Sicht zu erleben.
Wäre eine Arbeit mit Kindern auch etwas für dich? Wie stellst du dir deine berufliche Zukunft vor?
Ich werde erst mal meine Schule abschließen, und dann könnte ich mir vorstellen, bei der Feuerwehr zu arbeiten. Mir gefällt es, wenn ich anderen Menschen helfen kann. Zum Beispiel habe ich vor einiger Zeit einem umgekippten Rollstuhlfahrer mit anderen zusammen wieder aufgeholfen und habe gefragt, ob alles gut ist. Es gefällt mir heute deutlich besser, hilfsbereit und freundlich zu den Menschen zu sein, als mein Verhalten noch vor ein paar Jahren.
Vielen Dank Cederik für deine offenen Worte. Wir freuen uns, dass wir dich auf deinem Lebensweg ein Stückchen begleiten konnten und wünschen dir alles Gute für die Zukunft.
Interview: Claudia Heinrich
Fotos: FAIR.STÄRKEN e.V.
Keep Cool – Jungs fair.stärken – Geschlechtsspezifisches Sozialtraining
Soziales Lernen und Gewaltprävention mit Jungen
„Bin ich schwach, wenn ich Gefühle zeige?“, „Dürfen Jungen auch weinen?“ oder „Richtige Männer kochen nicht!“
Fragen, die sich aus geschlechtsbezogenen Vorurteilen, festgebackenen Rollenbildern und konservativ-traditionellen Männlichkeitsanforderungen ergeben.
Jungen stehen immer unter Druck, die (vermuteten) Rollenerwartungen des sozialen Umfeldes und der Medien erfüllen zu können, befinden sich im ständigen Wettbewerb untereinander und sind einem starken Gruppenzwang ausgesetzt. Besonders Jungen, die in sozial benachteiligten Lebenssituationen, bildungsfernen und traditionellen Elternhäusern nach konservativen Maßstäben aufwachsen, erleben in ihrem Umfeld diese Rollenbilder verstärkt. Hinzu kommt, dass viele kaum Kontakt mit alternativen Lebensentwürfen haben und in den Sozialräumen häufig isoliert sind. Der dadurch ausgelöste Stress in Verbindung mit geringem Selbstvertrauen kann zu Unsicherheit und erhöhter Gewaltbereitschaft führen. Ein gesundes Selbstwertgefühl, den Sinn von Regeln erkennen und positive Gruppenerfahrungen stärken die Jungen.
„Das ist doch klar, dass man keine Messer mit in die Schule bringt. Das macht man nicht!“ P. 15 Jahre
Gewaltfreie Handlungsalternativen
Eine Trainerin berichtet: „Die Jungen kommen mit großer Unsicherheit, was ihre Jungenrolle angeht. ‚Bin ich schwach oder feige, wenn ich vor Provokation weglaufe?‘, ‚Wie komme ich aus einem Streit raus, ohne der Looser zu sein?‘ sind Fragen, die sie beschäftigen.“
„Ich bin seit 4 Jahren hier beim Training, weil es mir hilft, mit Konflikten umzugehen.“ P. 15 Jahre
In den Sozialtrainings lernen die Jugendlichen, die Notwenigkeit demokratischer Regeln und gewaltfreie Handlungsalternativen kennen. Dafür werden auch individuelle Erfahrungsberichte aus dem Alltag besprochen und mögliche Vorgehensweisen gemeinsam erarbeitet. Wichtig ist, dass die Jungen die Situation erkennen und ihre eigenen Gefühle rechtzeitig bewerten können. Ein Junge hat gelernt, dass es für ihn besser ist, wenn er sich in Konfliktsituationen präventiv aus dem Geschehen herauszieht und an einen Ort geht, wo er sich „herunterbringen“ kann.
Gemeinschaftsgefühl und Vertrauen
Positive Erlebnisse und Erfolge in der Gruppe steigern das Selbstwertgefühl der Teilnehmer, gleichzeitig verbessern sie in der Interaktion mit den anderen Jungen die Kommunikations- und Teamfähigkeit. Besonders sportbasierte Aktivitäten und Ausflüge bieten jede Menge Möglichkeiten, die eigenen Fähigkeiten zu erproben und zu entdecken. Die regelmäßigen Treffen fördern das Vertrauen in die Trainer:innen und die anderen Jungen. Ein Wir-Gefühl kommt auf, Freundschaften entstehen.
Ausflüge ins Tipi-Dorf
Während der Trainings fanden auch mehrtägige Fahrten in unser Tipi-Dorf in der Eifel statt. In dieser naturnahen Umgebung, weitab vom Alltag der Jungen, kann das Erlernte gleich angewendet werden: Regeln einhalten, gemeinsam Entscheidungen treffen, gewaltfreie Kommunikation und Teamarbeit. In diesem geschützten Setting, z.B. abends zusammen beim Lagerfeuer, fällt es den Jugendlichen auch leichter, über Dinge zu sprechen, über die sie sich vielleicht sonst nicht zu reden trauen.
„Ich hab am Anfang Probleme gehabt, dann haben wir uns vertragen. Als wir die Brücke aufgeräumt haben, haben wir alle zusammengehalten. Ich helfe jetzt auch meiner Mutter: z.B. Spülmaschine. Ich habe in dieser Tipi-Freizeit so viel gelernt, wie noch nie. Z.B. habe ich gelernt, wie man den Herd bedient.“
Nach dem Tipi-Lager meldete sich seine Mutter bei uns und erzählte freudig überrascht, ihren Jungen jetzt öfter in der Küche anzutreffen …
Geschlechtsspezifische Gruppentrainings
Jungen und Mädchen haben mit zunehmendem Alter unterschiedliche Bedürfnisse, auf die bei den FAIR.STÄRKEN Sozialtrainings gezielt eingegangen wird, um die Ziele, Stärkung des Selbstwertgefühls, demokratisches Regelverständnis und Entwickeln gewaltfreier Handlungsstrategien zu erreichen. Darüber hinaus fällt es den Teilnehmenden im Kreise ihrer Geschlechtsgenoss:innen leichter, über ihre Bedürfnisse und Probleme zu sprechen. Sie können sich in einem sicheren Raum öffnen, erlangen schneller Vertrauen und sind mutiger, eigene Talente und Ressourcen zu entdecken und auszuleben.
Wir danken der Postcode Lotterie für die Unterstützung bei diesem Projekt. Durch die Finanzierung konnten wir vielen Jugendlichen wichtige Hilfestellungen für ein chancengerechtes, respektvolles und glückliches Leben geben.
Bericht: Claudia Heinrich
Fotos: FAIR.STÄRKEN e.V.
Antirassismus-Workshop für die FAIR.STÄRKEN-Sozialtrainings
Antirassismus-Workshop für die FAIR.STÄRKEN-Sozialtrainings
FAIR.STÄRKEN nimmt den Namen ernst und erarbeitet mit Kindern und Jugendlichen Antidiskriminierungsstrategien. Es ist von großer Bedeutung, dass sich alle Mitarbeiter:innen ihrer Haltungen bewusst sind und diese immer wieder weiterentwickeln. In vielen Schulen und auf der Straße gehören Äußerungen oder Ausgrenzungen aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes von Kindern und Jugendlichen zum Alltag. Für viele Pädagog:innen kann es oft herausfordernd sein, angemessen zu reagieren und die Kinder und Jugendlichen in Akzeptanz und wertschätzendem Umgang miteinander zu stärken.
Unsere pädagogischen Fachkräfte und Sozialtrainer:innen werden in regelmäßigen Schulungen und Workshops für das Thema sensibilisiert und in Methodik geschult. Vorurteile wie „Alle Schwarze haben Rhythmus im Blut.“ können mit Spielen, wie „Weiße können nicht rappen“ von Gesicht Zeigen! | Für ein weltoffenes Deutschland nicht nur Kinder und Jugendliche zum Nachdenken bringen.
Rassismus kann vielfältig in Erscheinung treten
Im Workshop, der von unseren beiden Sozialtrainern Dennis und Noël geleitet wurde, werden verschiedene Formen von Rassismus thematisiert – wie zum Beispiel struktureller Rassismus, Rassismus in den Medien und Alltagsrassismus voneinander unterschieden. Letzteres wird oftmals leichtfertig angewandt, kann aber für die Betroffenen beleidigend sein, da tiefverwurzelte Vorurteile zum Ausdruck kommen. „Wo kommst du her, du hast so eine schöne dunkle Hautfarbe.“ Oder auch das übergriffige Anfassen von krausem Haar zeugt von Respektlosigkeit.
„schwarz“ oder „Schwarz“
Wir haben Begrifflichkeiten erklärt und besprochen: Intersektionalität, Migrationshintergrund, BIPoC, Gadjé-Rassismus … Dem FAIR.STÄRKEN-Team wurden Spiele und Medieninformationen an die Hand gegeben, um dieses wichtige Thema mit den Kindern und Jugendlichen in den Gruppen zu bearbeiten. Dabei kamen auch Videos zum Einsatz, die zum Nachdenken anregen: z.B. von dem Projekt „Mensch Deutschland“ vom Verein Lichterkette e.V. https://lichterkette.de/menschdeutschland/
Wir danken Noël und Dennis für die sehr informativen Beiträge, die vielen Anregungen und die nachdenklich machenden Einblicke in das Thema Rassismus.
Antirassismus-Training als Teil des Sozialtrainings bei FAIR.STÄRKEN
Die Kinder und Jugendlichen in unseren Gruppentrainings kommen aus unterschiedlichen Herkunftsländern, haben verschiedene Religionen, haben oftmals Fluchterfahrungen und wurden mit Ausgrenzung und Vorurteilen konfrontiert bzw. haben selbst andere diskriminiert. In unseren Gruppentrainings lernen die Kinder und Jugendlichen ein positives Selbstbild aufzubauen, Empathie und Akzeptanz gegenüber anderen Menschen und Religionen zu empfinden, demokratische Haltungen und Werte herauszubilden und diese auch zu leben – für eine tolerante, diverse und soziale Gesellschaft.
Bericht: Claudia Heinrich
Fotos: FAIR.STÄRKEN e.V.
Gemeinsam stark im Netz – Medienbildung im Sozialtraining
Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen stärken
Jugendliche verbringen bis zu 67,8 Stunden die Woche im Internet (Postbank-Studie 2022). Oft ohne hinreichende Medienkompetenz und meist unbeaufsichtigt sind sie den Gefahren aus dem World Wide Web schutzlos ausgeliefert. Für Heranwachsende aus benachteiligten Lebenslagen gilt das im Besonderen. Mittlerweile ist für Jugendliche das Internet, vornehmlich die Sozialen Medien, zu der wichtigsten Kommunikations- und Informationsquelle geworden.
Gefahr durch Cybermobbing und Cybergrooming
Viele junge Menschen leiden als Opfer von Cybermobbing oft ihr Leben lang oder geraten in ernsthafte Gefahr durch Cybergrooming (s. Blogbeitrag: Cybergrooming: Bedrohung für Kinder und Jugendliche im Netz (fairstaerken.de) oder Sextortion (Erpressung durch geschickte, teilweise manipuierte, Nacktfotos). Hinzu kommen diverse Formen von Cyberkriminalität, wie Phishing, Identitätsdiebstahl u.a. Außerdem praktizieren viele Kinder und Jugendliche einen viel zu leichtfertigen Umgang mit Datenschutz und Persönlichkeitsrechten.
Durch unseren intensiven Austausch mit Jugendsozialarbeiter:innen und Berichten aus unseren Trainingsgruppen konnten wir einen hohen Bedarf an Medienkompetenzbildung, insbesondere für Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Lebenslagen, feststellen.
Digitale Bildung im Kontext sozialer Ungleichheiten
Nach wie vor verringert die stetig wachsende „digitale Kluft“ die Teilhabechancen vieler Jugendlicher aus sozial benachteiligten Verhältnissen. Auch Eltern besitzen häufig kaum kritische Medienkompetenz. So können Eltern ihren Kindern keine Begleitung oder Hilfe anbieten. Und sie setzen dem exzessiven Medienkonsum ihrer Kinder keine Grenzen. Heranwachsende müssen daher besonders unterstützt werden, einen gesunden Umgang mit den digitalen Medien zu entwickeln, um Risiken und Gefahren im Netz selbstständig bewerten und vermeiden zu können.
Jugendliche mit wenig Selbstvertrauen, die in ihrem Umfeld keine Bestätigung, Liebe und Anerkennung finden, suchen diese immer öfter in den Sozialen Medien, häufig in teilweise fragwürdigen radikalen und antidemokratischen Kanälen. Die Gefahr, dass sie sich dabei Inhalte unkritisch zu eigen machen, ist groß.
Soziale Medien bieten einen perfekten Fluchtort für Jugendliche, um Bestätigung und Anerkennung zu erhalten und sich eine eigene neue alternative Identität(en) aufzubauen. Jede und jeder kann die Identität konstruieren, die sie oder er möchte. Durch die perfiden Algorithmen werden zusätzlich Glückshormon-Ausschüttungen ausgelöst, sodass fehlende Erfolgserlebnisse kompensiert werden können.
Digitale Kompetenz als Ressource zur Demokratiestärkung
Fake-News, Bullshit und irreführende Nachrichten werden durch die Algorithmen der sozialen Medien bevorzugt verbreitet. Gleiches gilt für kurze aufreißerische Artikel und Memes. Dies haben demokratiefeindliche Kräfte erkannt und so bespielen sie den digitalen Raum in hohem Maße, wobei ihre Zielgruppe meist Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sind. Inwiefern sie damit erfolgreich sind und die Wahlerfolge der AfD bei den zurückliegenden Wahlen bei dieser Altersgruppe damit in Verbindung stehen, muss weiter erforscht werden. Digitale Kompetenzen bei Jugendlichen können ihnen helfen, seriöse Nachrichten von Fake-News und Bullshit zu unterscheiden und bieten die Möglichkeit, radikalen Kräften entgegenzuwirken. Somit kann Medienbildung eine Ressource sein, die Demokratie zu stützen und zu stärken.
Medienbildung bei FAIR.STÄRKEN e.V.
Der Verein empowert seit Jahren Kinder und Jugendliche zu sozial kompetenten, resilienten und selbstbewussten jungen Menschen und fördert damit ihre Teilhabe- und Entwicklungschancen in unserer Gesellschaft. Die Vermittlung von Kompetenzen in der digitalen Welt, auch im Hinblick auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, ist ein weiterer Aspekt auf dem Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit.
Das Projekt Gemeinsam stark im Netz stellt eine zusätzliche Bildungseinheit dar, die in bereits bestehenden Gruppen zum Sozialen Lernen durchgeführt wird. Ein Schwerpunkt ist das Cybermobbing: Die Teilnehmenden werden zunächst für das Thema sensibilisiert. Mit Methoden aus dem Gewaltpräventionsbereich, z.B. Täter-Opfer-Rollenspiele wird die Empathie-Kompetenz der Jugendlichen gestärkt. Außerdem erfahren sie, wo es Schutz- und Hilfemöglichkeiten für Betroffene gibt.
In einem weiteren Modul lernen sie, wie sie in den unterschiedlichen Kanälen ihre Privatsphäre schützen und werden über Gefahren von Cyberkriminalität aufgeklärt.
Das Thema „Fake-News“ wird intensiv bearbeitet – die Jugendlichen lernen, wie sie typische manipulierende Botschaften erkennen, welche Absichten dahinter stecken können und wie sie Text- und Bildsprache hinterfragen können. Gemeinsam wird eine Check-Liste erstellt, durch die die Echtheit von Nachrichten geprüft werden kann. Zusätzlich werden Fact-Check-Websites vorgestellt.
Wirkungen der Medienbildung
Die Jugendlichen entwickeln einen gesunden, verantwortungsvollen, kritischen und gewinnbringenden Umgang mit der digitalen Welt. Sie sind sensibilisiert für Gefahren aus den Sozialen Medien, können Desinformationen leichter identifizieren bzw. haben gelernt, die Glaubhaftigkeit bestimmter Meldungen zu hinterfragen. Das Risiko, selbst Opfer vieler dieser negativen Einflüsse aus dem Internet zu werden, sinkt.
Am Tag der Zivilcourage (19.09.) werden alle Menschen dazu aufgefordert, sich in der Öffentlichkeit für den Schutz ihrer Mitmenschen auszuweiten. Für Jugendliche findet diese Öffentlichkeit auch im digitalen Lebensraum statt. Durch die Medienbildung von FAIR.STÄRKEN werden den Jugendlichen Handlungsmöglichkeiten gezeigt, auch im Internet für sich und ihre Mitmenschen einzustehen und aktiv gegen Cybermobbing, Cyberkriminalität und Fake-News die Stimme bzw. die Tastatur zu erheben. Und dies nicht nur an einem symbolischen Tag im Jahr, sondern am besten an allen Tagen und in allen Lebenslagen.
Wir danken der DATEV-Stiftung für die Anschubfinanzierung bei diesem Projekt. Wir wollen es deutlich ausweiten und in allen Gruppen über die Nutzung des Internets und der sozialen Medien reden und die Jugendlichen fit machen für kritische Mediennutzung.
Fotos Unsplash: Gaselle Marcel (Titelbild); NkNi
„Das Glück der Erde …“ – Reiterferien auf dem Nengshof
„Das Glück der Erde …“ – Reiterferien auf dem Nengshof
Kinder und Tiere haben eine ganz besondere Beziehung. Der Einfluss von Tieren ist prägend für die Entwicklung von Heranwachsenden. Positive Erlebnisse mit Tieren reduzieren den Stress, motivieren zu mehr Bewegung und fördern Verantwortungsbewusstsein und Empathie.
Das ist auch der Grund, weshalb bei unseren FAIR.STÄRKEN-Ferienfreizeiten ein Aufenthalt auf dem Reiter- und Bauernhof Nengshof in der Eifel dazugehört.
„… auf dem Rücken der Pferde“
Auf dem Hof gibt es nicht nur für (Stadt)Kinder- und Jugendliche viel zu erleben und zu lernen. Natürlich stehen die Tiere, besonders die Pferde, im Mittelpunkt.
Aber auch der Hof an sich bietet neben Reiterferien abwechslungsreiche Aktivitäten an: Von der Mithilfe bei der Kirschernte bis zum Heuballen-Verladen … Jede Jahreszeit hat ihre Besonderheiten und ihre Highlights, ganz im Rhythmus der Natur.
Darüber hinaus bietet die malerische Eifelumgebung interessante Wanderwege, Pfade für Entdeckungstouren und Strecken für die vom Nengshof angebotenen Kutschfahrten. Viele Gewässer in der nahen Umgebung versprechen eine willkommene Abkühlung an heißen Sommertagen.
Auf dem Reiterhof gibt es jeden Tag geführte Ausritte in die Natur oder Reitstunden auf dem Platz. . Hier ist für jede/n Besucher:in etwas dabei. Aber schon allein die Nähe zu den Tieren hat eine große psychologische Wirkung auf die Kinder. Durch den heilsamen Körperkontakt zu den Pferden können die Kinder Wärme spüren und die unmittelbare und wertfreie Reaktion auf das eigene Handeln erfahren. Die Tiere zeigen Vertrauen, wenn die Menschen Vertrauen in sie haben. Die Körpersprache, die Kontrolle des eigenen Körpers, ist von besonderer Bedeutung. Die Kinder lernen, sich selbst zu kontrollieren und Angst abzubauen – und erhalten sofort den Lohn von den Pferden.
Verantwortung übernehmen
Aber die Pferde nur zu reiten ist nicht alles. Die Tiere werden von ihren Reiter:innen auch gestriegelt und gefüttert. Wer möchte, kann auch beim Stall saubermachen mit anpacken. So lernen die Kinder und Jugendlichen, dass zur Haltung eines Tieres mehr gehört, und man für das andere Leben auch Verantwortung trägt. Das gilt natürlich auch für die anderen vier- und zweibeinigen Bewohner:innen des Hofes, die sich ebenfalls neugierig und vertrauensvoll von den Neuankömmlingen verwöhnen lassen. Da es sich um einen richtigen Bio-Bauernhof handelt, erfahren die Kinder und Jugendlichen auch, wer möglicherweise ihre Frühstückseier legt und wo ihre Milch für den Kakao herkommen könnte.
Regeln einhalten und Teilhabe
Natürlich verlieren die Regeln aus unseren Gruppentrainings bei den Ferienausflügen nicht an Gültigkeit. Partizipation der Teilnehmenden wird großgeschrieben und Entscheidungen werden demokratisch getroffen. Das gilt für gemeinsame Essensvorbereitungen genauso wie für die Gestaltung des Programms. Regeleinhaltung, Kommunikation und Kooperation in der Gruppe werden durch kooperative Abenteuerspiele in der Natur umgesetzt und in Reflexionsphasen besprochen.
Die Natur bietet ideale Bedingungen, um Stress abzubauen, Selbstwirksamkeit zu erfahren und Vertrauen aufzubauen – sowohl zu den Tieren als auch zu anderen Menschen.
Am Ende ist ein friedliches und tolerantes Miteinander wichtig, damit alle gemeinsam die Ferienfahrt auf dem Nengshof auch so richtig genießen, zusammenspielen und vielleicht neue Freundschaften schließen können.
Viele der Kinder und Jugendliche kommen aus Familien, die oftmals nicht die Mittel haben, ihrem Nachwuchs abwechslungsreiche Ferien oder sogar eine Urlaubsreise zu ermöglichen. Dank unserer großartigen Unterstützer:innen und Förderer haben nun auch diese kleinen Abenteurer ihren Mitschüler:innen jede Menge Ferienerlebnisse zu berichten. Sie sind ausgeglichen, können mit Gleichaltrigen mithalten und gehen motiviert ins neue Schuljahr.
Bericht: Claudia Heinrich
Fotos: FAIR.STÄRKEN e.V.
„Rein ins Abenteuer" – Ferienfreizeit in unserem Tipi-Dorf
„Rein ins Abenteuer“ – Ferienfreizeit in unserem Tipi-Dorf
Sommerzeit heißt Reisezeit: Auf unsere Kinder aus den Gruppentrainings warten auch in diesem ein paar erlebnisreiche Tage bei den von FAIR.STÄRKEN organisierten Ferienfreizeiten: z. B. in unserem Tipi-Dorf in der Eifel. Dieses baut das FAIR.STÄRKEN-Team in jedem Frühjahr für die kommende Saison mit vereinten Kräften und viel Engagement immer wieder nach der Winterruhe auf (siehe unseren Blog-Beitrag).
Sechs weiße Tipi-Zelte versammeln sich im Kreis in einer kleinen Lichtung. An der Feuerstelle, direkt nebenan, lodert praktisch ununterbrochen ein Feuer. Eine spartanisch, aber mit allem Notwendigen eingerichtete Küche, ein umfunktionierter Bauwagen, der als Lager und Vorratsraum dient und ein sehr „natürlich“ ausgestattetes Toilettenhäuschen.
Duschen kann man in einem dafür extra aufgestellten kleinen Duschhäuschen in der Nähe. Strom gibt es nur an einer Stelle, um zum Beispiel Handys aufzuladen. WLan – Fehlanzeige. Für viele Jugendliche, für die der tägliche Medienkonsum zur Normalität gehört, ist das zunächst unvorstellbar. Einer unserer Trainer weiß zu berichten, dass die Kinder „förmlich an ihren Handys geklebt haben“. Deshalb ist es wichtig, ihnen Alternativen zu zeigen, und vor allem, dass diese auch sehr viel Spaß bringen können.
Natur erleben
Unser Tipi-Dorf ist wie geschaffen für eine Ferienfreizeit mit Spaß und Abenteuer, denn das eigentliche Highlight ist nämlich die schöne Natur rundherum. Tag und Nacht rauscht das Wasser im Flüsschen Kyll direkt am Camp vorbei. Darüber führt eine selbst gebaute Holzbrücke zum anderen Ufer, wo ein Volleyballfeld, eine Lagune zum Baden und viel Natur zu entdecken ist.
Anfängliche Skepsis der eintreffenden Gäste über die örtlichen Gegebenheiten, hier irgendwo im Nirgendwo, weichen schnell der Begeisterung für das Neue und die Neugier auf das Kommende. Es bleibt keine Zeit, sich weiter Gedanken zu machen. Es müssen die Schlafplätze für die Nacht verteilt, die Zelte eingerichtet, die Feldbetten bezogen werden.
Aufgaben und Regeln
Es werden die Aufgaben und Regeln für die folgenden Tage besprochen und die jeweiligen Teams für die Küchendienste, zum Einkaufen etc. eingeteilt und auf einem Blatt auf der Lagertür festgehalten.
So weiß Team „Paprika“, dass es morgen Abend mit dem Abwasch dran ist. Handys werden um 21 Uhr „schlafen“ geschickt.
Die Kinder und Jugendlichen sollen lernen, sich an demokratische Regeln zu halten und Verantwortung zu übernehmen. Der Tagesablauf erfährt dadurch eine Struktur, und sie erfahren Selbstwirksamkeit und stärken ihr Selbstbewusstsein. In der Gruppe erlangen sie erste Erfolge und spüren den Teamgeist. Und es macht natürlich auch Spaß, wenn sie merken, dass alle zusammen ein tolles Ergebnis erzielen können.
Kreativität und Teamgeist
Die Ferienfreizeiten hier im Tipi-Dorf in Jünkerath in der Eifel dauern meistens fünf Tage. In dieser Zeit können die Jugendlichen viele verschiedene Spiele ausprobieren, wobei, Konzentration, Geschicklichkeit, Kreativität und Teamgeist gefördert werden.
Zum Beispiel lernen sie beim intuitiven Bogenschießen, unter der Leitung des Outdoor-Pädagogen Helmar, wie durch das abwechselnde An- und Entspannen des Körpers Stress abgebaut und Blockaden gelöst werden können. Beim Erstellen selbst gebatikter T-Shirts oder Basteln mit Naturmaterialien können die Jugendlichen ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Ausflüge zum nahe gelegenen See oder ein Sprung in die Lagune bringen eine erfrischende Abkühlung bei heißen Sommertemperaturen. Wer lieber in der Hängematte chillen möchte, kann dies gern tun. Abends versammelt sich die Gruppe am Lagerfeuer – manchmal auch mit Gitarrenbegleitung. Schnell ist ein Stock angespitzt und Marshmallow, Stockbrot und Co. werden über der gemütlichen Flamme gegart. Auch Burger brutzeln über dem offenen Feuer.
Ängste überwinden und Mut zusprechen
Bei der obligatorischen Nachtwanderung lernen die Kinder und Jugendlichen, ihre Ängste zu überwinden, sie sprechen sich gegenseitig Mut zu und lernen einander zu vertrauen.
Nach der gemeinsamen Zeit in Tipi-Dorf fällt den meisten der Abschied schwer. Die kleine Gruppe ist näher zusammengewachsen, teilen gemeinsame Erlebnisse und haben nach den Ferien in der Klasse auch etwas ganz Besonderes zu berichten.
Diese und andere Ferienfahrten sind nur mit der Unterstützung unserer treuen Spender:innen und Förderer möglich. Vielen Dank an euch, dass jedes Jahr viele Kinder und Jugendliche, die sonst keine Möglichkeiten haben, wie andere mit ihren Eltern in den Urlaub zufahren, unvergessliche
Erlebnisse beschert werden können.
Redaktion: Claudia Heinrich
Fotos: FAIR.STÄRKEN e.V.
"Es gibt kein falsches Kind!" – Seelische Verletzungen bei Pflegekindern
„Es gibt kein falsches Kind!“ – Seelische Verletzungen bei Pflegekindern
Pflegekinder fühlen sich selten „normal“ – sie strengen sich an, um so zu tun
Der Film „Systemsprenger“ erzählt die Geschichte eines traumatisierten Mädchens, das von einer Pflegefamilie in die nächste gereicht wird. Er schildert eindrucksvoll und tiefgehend, die seelischen Verletzungen bei Pflegekindern: Eine teilweise unbändige Wut im Bauch, auf andere und auf sich selbst gerichtet, das Gefühl der Einsamkeit, des Verlassenseins und der Traurigkeit dahinter und gleichzeitig auch die Überforderung und Hilflosigkeit vieler Institutionen.
Damit Pflegekinder in ihrer gesunden Entwicklung besser gefördert werden können, bietet FAIR.STÄRKEN unterstützende Sozialtrainings, die die individuellen Bedürfnisse der oft mehrfach traumatisierten Kinder berücksichtigen.
Wenn ein Kind zum Pflegekind wird
Ein Kind wird zum Pflegekind, wenn sich die Erziehungsberechtigten nicht mehr um es kümmern, sie aufgrund schwieriger Lebensumstände das Kindeswohl nicht mehr gewährleisten können. Dann gelangen sie bis zu einem Alter von 17 Jahren in die Obhut des jeweiligen Jugendamtes: oftmals in Pflegefamilien oder Erziehungsstellen, in Kinderheime und Jugendeinrichtungen. Diese Kinder haben in der Regel traumatische Erfahrungen gemacht und geben sich oftmals die Schuld, von ihren Eltern getrennt leben zu müssen:
- „Ich bin schlecht und böse, deswegen geben meine Eltern mich zu anderen Leuten.“
- „Ich bin schuld an den Problemen, die es in unserer Familie gibt, deshalb werde ich jetzt bestraft und weggeschickt.“
- „Meine Eltern lieben mich nicht, sonst könnten sie sich nie von mir trennen.“
- „Erwachsene verfügen über mein Leben, ich bin ganz ausgeliefert und hilflos.“
- „Ich habe große Angst vor all dem, das auf mich zukommt.“
- „Ich bin wütend, weil ich nicht bei meiner Familie leben kann.“
Oft genug müssen die Kinder schwierige Erfahrungen aus ihren Herkunftsfamilien verarbeiten, sich in neue Beziehungen und neue Lebensumstände eingewöhnen. Sie müssen lernen, wieder neu Vertrauen zu Bezugspersonen zu fassen und sich in dieser Welt zu Recht zu finden.
Es fehlt ein Teil der Identität
Robin Wischnowsky ist Pädagogische Fachkraft und Trainer für Soziales Lernen bei FAIR.STÄRKEN. Er weiß aus seiner Arbeit mit Pflegekindern zu berichten: „Stell dir vor, du bist ein Pflegekind und du lebst nicht in deiner ursprünglichen Familie. Ein Teil deiner Identität liegt somit im Verborgenen oder ist mit Schmerz verbunden. Wir versuchen den Kindern dabei zu helfen, sich auf den Weg der eigenen Identität zu machen und diese bei sich selbst und ihren Mitmenschen zu finden. Meine tägliche Arbeit ist davon geprägt, den Kindern stets ein gesundes Beziehungsangebot zu ermöglichen.“
Beziehungsstörungen kommen sehr häufig bei den Kindern vor. Teilweise zeigen sie eine Distanzlosigkeit, nehmen schnell Kontakt zu Fremden auf und kennen keine Grenzen, auch um Nähe zu spüren. Andere hingegen fallen oft durch ein übersteigertes Autonomiebedürfnis auf, sie sind schon in jungen Jahren sehr selbständig. Oftmals mussten sie den Elternpart in der Familie übernehmen. Jedes Kind reagiert je nach Persönlichkeit und Vorgeschichte anders. Gemein haben die Pflegekinder, dass sie seelische Verletzungen davongetragen haben. Dabei ist es entscheidend, in welcher Entwicklungsphase die Kinder schweren Belastungen und traumatischen Erfahrungen ausgesetzt waren, da so bestimmte Entwicklungsaufgaben nur teilweise erfüllt werden konnten, z.B. den richtigen Umgang mit Gefühlen zu lernen. Einen Großteil der seelischen Energie haben sie für die Bewältigung der traumatisierenden Ereignisse gebraucht. Die Kinder entwickeln regelrechte Überlebensstrategien, statt eigener Perspektiven.
Entwicklung eigener Lebensperspektiven
Für die Kinder und Jugendlichen in unseren Gruppen ist es wichtig, dass sie sehen, dass sie nicht allein sind. Es gibt andere Kinder mit ähnlichen Erfahrungen. Etwas 10 % der Teilnehmenden sind bei uns Pflegekinder. Bei den Sozialen Trainings haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Kinder selbständig ihre Themen rund um die Familiensituation aufgreifen, ansprechen und einen großen Bedarf haben, sich mit anderen Kindern mit vergleichbaren Biografien auszutauschen. Solch ein Training kann eine Selbstwertstärkung und Positionsfindung in der Gruppe ermöglichen. Es fördert ihre Teilhabe und Chancengleichheit, indem die Kinder lernen, selbständig und eigenmotiviert alternative Lebensperspektiven für sich zu entwickeln.
„Manchen Kindern, denen es schwerfällt, gesunde Beziehungen zu führen, erwarten unbewusst enttäuscht zu werden. Dies kann daran liegen, dass sie in jungen Jahren schlechte Erfahrungen mit ihren Mitmenschen gemacht haben. Mit ihrem Verhalten versuchen sie, die bestehenden Beziehungen auszutesten, was wir Erwachsenen dann als herausforderndes Verhalten empfinden könnten.“ berichtet Robin.
Wirkung des Sozialtraining auf die Entwicklung
Unsere regelmäßigen Sozialtrainings ermöglichen es den Kindern und Jugendlichen, sich in einem geschützten Raum auszutauschen. Diese Trainings dauern zwei bis drei Jahre. Die zwei erfahrenen Trainer:innen für Soziales Lernen und Gewaltprävention arbeiten mit traumapädagogischen Methoden, Bewegungs- und sportorientierten Übungen und Spielen. In dieser Zeit werden sie zu festen Bezugspersonen für die Kinder und Jugendlichen. Übungen und Spiele wechseln sich mit Reflexionsphasen ab. Hier geht es um Konfliktlösungsstrategien, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Wahrnehmung eigener Ängste und Ausgrenzungserfahrungen, Kooperation und Selbstbehauptung. Das ermöglicht den Kindern und Jugendlichen, eigene Perspektiven zu entwickeln.
Zusätzlich können Ferienfreizeiten mit den Kindern durchgeführt werden. Erholsame Tage mitten in der Natur und erlebnispädagogische Spiele stärken das Gruppengefühl und die Selbstwahrnehmung der Kinder. Durch den heilsamen Körperkontakt zu den Pferden auf einem Reiterhof können die Kinder Wärme und Vertrauen spüren und die unmittelbare und wertfreie Reaktion auf das eigene Handeln erfahren.
Eigene Talente und Gefühle entdecken
Durch die Sozialkompetenztrainings lernen sich die Kinder und Jugendlichen selbst kennen: Sie erfahren, wie es sich anfühlt wütend, traurig oder glücklich zu sein. Sie entdecken ihre Talente und verstehen, dass sie individuell und wertvoll sind (ICH). Das Wissen um die eigenen Gefühle bildet die Grundlage, um auch die Gefühle und Signale des Gegenübers zu erkennen und richtig zu deuten. Sie respektieren die Individualität, die Grenzen und die Bedürfnisse der anderen und lernen sie wertzuschätzen (DU). Über heilsame Gespräche und den Austausch untereinander bemerken sie, dass sie nicht allein in ihrem Leid sind. Gemeinsam erringen sie Erfolge, die das Selbstbewusstsein des einzelnen Kindes steigert. Die Teamfähigkeit wird gefördert (WIR). Das Ergebnis dieses Prozesses, vom ICH zum DU zum WIR, ist, dass die Kinder eine innere und äußere Sicherheit erleben und eine positive und stabile Bindungserfahrung machen.
„Natürlich ist für die Bindung Liebe und Sicherheit ein sehr großes Thema, und die Kinder sind immer auf der Suche danach. Deshalb ist es mir wichtig, durch mein Auftreten den Kindern ein gutes Gefühl zu geben. Ihnen das Gefühl zu geben, nichts falsch machen zu können und somit den Mut zu entwickeln, ihre eigenen Schwierigkeiten und Probleme angehen zu können.“ erklärt Robin.
Quellen:
– FAIR.STÄRKEN e.V.
– Irmela Wiemann, Zusammenleben mit seelisch verletzten Kindern
Redaktion: Claudia Heinrich
Gemeinsam sind wir stark – mit FASD
Gemeinsam sind wir stark – mit FASD
Eine Ferienfreizeit für Pflegekinder mit FASD, das mit der Unterstützung des Deutschen Kinderhilfswerk realisiert werden konnte!
Stimmen hinter verschlossenen Bürotüren, hin und wieder dringt etwas Musik heraus, Kinderlachen im Treppenhaus, wo sich die Geschäftsräume von FAIR.STÄRKEN e.V. befinden. Beim Verein am Hohenstaufenring herrschte in den Osterferien geschäftiges Treiben. Es fand ein Teil des Projektes Gemeinsam sind wir stark – mit FASD statt, das im Rahmen einer Ferienfreizeit für 12- bis 15-Jährige aus Pflegefamilien mit Fetaler Alkoholspektrumstörung (FASD) organisiert wurde.
Menschen mit FASD
Menschen, die mit FASD geboren wurden, haben oft körperliche Fehlbildungen und Verhaltensauffälligkeiten: Entwicklungsstörungen, Probleme mit der Aufmerksamkeit, Störungen des Kurz- und Langzeitgedächtnisses, Schwierigkeiten beim Sprachverständnis sowie ein gestörtes Ursache-Wirkungsverständnis. Sie benötigen besondere Unterstützung bei alltäglichen Abläufen und sozialen Interaktionen. Die Ursache für diese Störung ist der Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft (siehe unser Blogbeitrag zu FASD).
Gemeinsam Köln entdecken
Vier Tage und drei Nächte verbrachten die Jugendlichen gemeinsam mit vier Pädagoginnen und Pädagogen in Köln, herausgenommen aus ihrem Alltag, dennoch nicht weit entfernt von ihrem Zuhause. Übernachtet wurde in einer Jugendherberge. Hier galt es, geregelte Tagesabläufe, wie gemeinsames Tischdecken, Abräumen sowie das pünktliche Erscheinen zu den Mahlzeiten einzuhalten.
Tagsüber standen Aktivitäten auf dem Programm, das gemeinsam mit allen Beteiligten abgestimmt und geplant wurde: Ausflüge in den Kletterpark und auf einen Spielplatz im Rheinpark, eine Seilbahnfahrt und abendliches Feuerspucken am Rhein. Es gab einen Kinoabend in der Unterkunft, und die Jugendlichen bekamen ein Großstadtgefühl beim gemeinsamen Shoppen in der Kölner City. Einige bestiegen sogar den Dom bzw. den LVR-Turm in Deutz und wurden mit einem schönen Panoramablick über die Stadt belohnt.
Lebenswelt selbst gestalten
Die Jugendlichen bekommen durch die Freizeit die Möglichkeit, mit Spaß und in einer lockeren Atmosphäre ihr positives Selbstbild weiterzuentwickeln und die Verantwortungsübernahme für die eigenen Handlungen zu trainieren. Die Resilienzförderung ist das erklärte Ziel dieses Projekts.
Musik verbindet
Im Mittelpunkt des Projekts stand ein Musikworkshop in den Räumlichkeiten von FAIR.STÄRKEN e.V. Der musikalische „Direktor“ Robin, einer unserer Pädagogen, wurde von Marius von den Biking Brothers bei dem Projekt tatkräftig unterstützt. Das Büro einer Vorständin wurde kurzerhand zum Aufnahmestudio umfunktioniert: Mischpult, Lautsprecher, Mikrophone wurden aufgebaut. Am Ende des Workshops soll ein eigenes Musikvideo mit Gesang und Impressionen der gemeinsamen Ferienfreizeit in Köln präsentiert werden.
Strukturierter Tagesablauf
Doch zunächst müssen sich alle erst einmal kennenlernen. Ein sicherer Raum und Menschen, denen sie vertrauen, ist für Pflegekinder mit FASD äußerst wichtig und Grundlage für die gemeinsame Zeit.
Das sind die Projektphasen für die folgenden drei Tage:
– Gemeinsam Regeln aufstellen
– Aufteilung in Projektgruppen (Techniker:innen, Texter:innen, Sänger:innen)
– Thema des Songs beschließen
– Arbeit in den Projektgruppen
– Abschluss der Projekte
– Der Song wird vorgestellt
Jeder Workshoptag ist durch einen gemeinsamen Beginn und einer Reflexionsrunde am Ende gekennzeichnet.
Das Projekt unterstützt die Unabhängigkeit der Jugendlichen mit FASD
Jugendliche mit FASD zeigen oftmals starke Verhaltensauffälligkeiten und erfahren dadurch mitunter Ablehnung in der Gesellschaft. Andere Jugendliche mit FASD kennenzulernen, ist sehr wichtig für die Teilnehmenden. Sie erkennen dadurch: „Ich bin nicht allein, ich bin gut so wie ich bin”.
Die soziale Situation der Teilnehmenden ist in vielerlei Hinsicht benachteiligt: Sie wachsen in Pflegefamilien auf. Die Trennung von den Eltern stellt für die Kinder nahezu immer ein traumatisches Ereignis dar, viele weisen Anzeichen von Bindungsstörungen, Angst und Depression auf. Auch durch das FASD zeigen sich psychische Störungen im besonderen Maße.
Die Ferienfreizeit leistet einen wichtigen Beitrag für die Selbständigkeit und Chancengleichheit der Jugendlichen. Durch ein gestärktes Selbstvertrauen und besseren Kompetenzen in Alltagssituationen ist es ihnen möglich, sich freier in ihrer Lebenswelt zu bewegen und neue Kontakte zu knüpfen. Sie lernen entsprechend ihrer individuellen Fähigkeiten, die Freizeit und das Gruppengeschehen mitzugestalten. So wird ein inklusives Köln gefördert.
Und hier ist natürlich das Musikvideo, das während des Projektes entstanden ist. Viel Spaß!
Dieses Projekt wurde unterstützt vom Deutschen Kinderhilfswerk.
FAIR.STÄRKEN sagt Danke auch im Namen der teilnehmenden Jugendlichen!
Fotos FAIR.STÄRKEN e.V.
Redaktion: Claudia Heinrich
Der Sommer kann kommen – unser Tipi-Dorf steht wieder
Fertig für die Ferienzeit – unser Tipi-Dorf für die Kinder steht
Ganz Deutschland genießt entspannt die ersten Sonnenstrahlen des anrückenden Frühlings. Ganz Deutschland? Nein! In einem kleinen Dorf in der Eifel herrscht bereits seit den frühen Morgenstunden heftiges Treiben. Da wird geräumt, gesägt, gehämmert und tatkräftig mit angepackt.
Wer sich gewundert hat, dass bei FAIR.STÄRKEN zwei Tage lang kaum einer erreichbar war … wir haben nicht gefaulenzt. Nein! Das Team hat sich die Gummistiefel angeschnallt, und mit vereinten Kräften haben wir unser schönes Tipi-Dorf für die Ferienfahrten unserer Kinder und Jugendlichen aufgebaut.
Gar nicht so leicht bei teilweise strömenden Regen und noch nicht wirklich sommerlichen Temperaturen. Aber wir wissen, was für schöne Tage unsere Gruppen hier verbringen, und mit wie vielen Abenteuern und Erlebnissen im Gepäck sie wieder in ihr Zuhause in Köln zurückkommen werden.
Nach einer Lagebesprechung und der Verteilung der Aufgaben geht es auch gleich los.
Ach, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Fenchel, mit vollen Namen heiße ich C. Fenchel vom Aaseeufer und bin der Chef von dem Laden hier. Die Zweibeiner haben mich gebeten das große Ganze bei diesem wichtigen Bauprojekt im Auge zu behalten und die Motivation im Team zu stärken.
Der Aufbau der ersten Tipi-Zelte kann beginnen
Unsere beiden erfahrenen Bauleiterinnen Aline und Nina können nicht nur super mit Kindern umgehen, sondern haben auch in Sachen Tipi-Aufbau den Durchblick. Ich für meinen Teil sehe überall nur besonders große „Stöckchen“.
Auch die Toilettenhäuschen werden gecheckt und besucherfertig gemacht. Ich verstehe nicht, wieso man sowas braucht bei den ganzen Bäumen hier, aber na gut … die Menschen haben ja schließlich auch zwei Beine weniger.
Unsere neue Brücke über den Bach Kyll hat den Winter gut überstanden, so dass man mit trockenen Pfoten zum Volleyballfeld und den schönen Badestellen an der Lagune kommt.
Schnell stehen bereits die ersten Hunde … Ähh Menschenhütten.
Wohlfühloase mitten in der Eifel
Wer arbeitet, muss auch essen
Da haben sich alle ihr Mittagessen, eine deftige und megaleckere Linsensuppe, zubereitet von unserer Maître de Cuisine Frauke, wirklich verdient. Ihr könnt alle gern die Veggi-Würsten essen, umso mehr bleibt dann von den „richtigen“ für mich.
Weiter geht’s, keine Müdigkeit vorschützen.
Meine Co-Chefin Mechthild ist für die Grünanlagen zuständig. Gekonnt wirft sie das laute rote Ding an und los geht’s. Bis zum Abend hat sie aus dem hohen Gras einen richtigen Bolzplatz für die Kinder und eine schöne Rennwiese für mich gemäht.
Es ist schon fast dunkel, als das letzte Tipi steht. Und endlich kommt auch mal die Sonne raus. Morgen wird dann noch am Innenausbau gefeilt, damit unsere kleinen Gäste es auch schön gemütlich haben und ihre Ferienfreizeiten in vollen Zügen genießen können.
Auch Mechthild nimmt UNSER Werk in Augenschein und scheint eigentlich ganz zufrieden, oder, was meint ihr …?
So ein Arbeitstag im Freien ist schon mächtig anstrengend muss ich sagen, da habe ich mir meine Feierabendstreicheleinheit auf dem Schoß von Luise, unserer jüngsten Helferin, mehr als verdient.
So das wars vom Tipi-Aufbau aus der Eifel und von mir. Ich und natürlich das ganze Team von FAIR.STÄRKEN wünschen allen Kölner Kindern und Jugendlichen wunderschöne, entspannte und erlebnisreiche Ferien in unserer Freizeit-Oase. Und vielleicht komm ich euch ja mal besuchen.
Euer Fenchel
Fotos FAIR.STÄRKEN e.V.
Bericht: Claudia Heinrich
Und natürlich gibt es das ganze auch als Videoreportage: Tipi Aufbau 2023 – YouTube