Starke Klasse. Starke Kinder – Sozialtraining in der Schule
Klassentrainings mit FAIR.STÄRKEN
Montag am Ende der großen Pause in Porz: Alle Kinder der 5a stehen vor der Aula und warten darauf, dass das wöchentliche Klassentraining startet. Schnell werden noch die letzten Anekdoten der Pause ausgetauscht, etwas getrunken oder mit vorbeikommenden Freundinnen und Freunden gesprochen. Gleichzeitig können die Trainer:innen von FAIR.STÄRKEN die Vorfreude auf das Training schon erspüren.
Stuhlkreis und Daumenzeichen
Angekommen in der Aula, muss erstmal ein Stuhlkreis aufgestellt werden. Nach vielen Wochen der Übung funktioniert dies mittlerweile zügig und alle finden einen Platz, der ihnen passt. Auch wenn der Kreis eher als Ei zu bezeichnen ist. Als nächstes können alle per Daumenzeichen zeigen, wie es ihnen geht und bei Interesse etwas dazu sagen. Meistens ist das Bild durchwachsen und geprägt von müden Kindern. Aber hin und wieder erzählen sie von ihren schönen Wochenenderlebnissen oder freudigen Erfahrungen in der Schule. Nur bei Ali* wissen wir, dass der Daumen aus Prinzip immer nach unten zeigt.
Als nächstes gilt es, die Kinder mental und körperlich zu aktivieren. Dazu gibt es eine Übung, die auf die Klasse und ein jeweiliges Thema abgestimmt ist. Wer schafft es als erstes die richtige Farbe zu berühren oder den freien Platz zu ergattern? Wer kann den Kopf schütteln beim „JA“ sagen oder im richtigen Moment klatschen?
„Fluss überqueren“ oder „Zombieball“
Danach startet ein Kooperationsspiel. Alle Kinder müssen zusammen den reißenden Fluss überqueren. Schaffen sie es durch ein gemeinsames Vorgehen und eine Taktik? Beim ersten Mal scheitern sie, da Lars* alle anderen im Stich lässt. Nach einer weiteren Beratungsrunde werden das Rätsel und die Aufgabe jedoch gelöst. Zwischendurch müssen die Fachkräfte ein paarmal für Ruhe sorgen, indem sie Laut „Kölle“ rufen und die Kinder mit „Alaaf“ antworten. Dann wissen alle, dass sie sich wieder auf die Sache konzentrieren müssen.
Welches Spiel wünschen sich die Schülerinnen und Schüler diesmal als Abschlussspiel? Die Wahl fällt, wie so oft, auf Zombieball. 20 schreiende Kinder und zwei hechelnde Fachkräfte werfen sich mit Bällen ab, warten geknickt auf der Bank und hoffen auf den nächsten Zombiegeburtstag.
Abschlussritual mit Handschlag
Eine Abschlussrunde darf natürlich nicht fehlen. Alle haben wieder die Möglichkeit, ihre Gefühlslage zu zeigen und was dazu zu sagen. Diesmal ist sogar Alis Daumen nach oben gestreckt. Zum Schluss darf das Abschlussritual nicht fehlen. Die Kinder geben sich reihum die Hand und sagen laut „bis zum nächsten Mal“. Dann klingelt es auch schon und man verabschiedet sich in die kleine Pause.
So oder so ähnlich läuft es an vielen Schulen an allen Tagen der Woche im ganzen Großraum Köln. Für die Schülerinnen und Schüler ein Highlight der Schulwoche, da die Doppelstunde mit FAIR.STÄRKEN ganz anders abläuft als eine „normale“ Unterrichtsstunde. Bewegung, Gruppenarbeit und Spaß bilden die Grundlage des Trainings.
Soziales Lernen in der Schule
Der Bedarf nach Klassentrainings ist in Köln, aber auch in ganz NRW und Deutschland in den letzten Jahren rasant gestiegen. Schulen berichten von fehlender Sozialkompetenz, mangelhaften Kommunikationsfähigkeiten und nicht vorhandenen Konfliktlösungsstrategien bei ihren Schüler:innen. Das alles führt nicht nur zu einem Schulalltag mit vielen Störungen, sondern auch zu weiterführenden Problemen in der Biografie der Kinder und Jugendlichen. Fehlende Resilienz, Sozialkompetenz und eine nicht vorhandene Perspektive stehen Chancengleichheit auf gesellschaftliche Teilhabe und (demokratischer) Partizipation im Weg. An diesem Punkten setzt das Sozialtraining des Vereins FAIR.STÄRKEN an.
Sozialtraining von FAIR.STÄRKEN
- Die Sozialtrainings in Schulklassen finden wöchentlich in einer Doppelstunde über mindestens ein Schulhalbjahr mit einer Klasse statt.
- Anwesend sind die Mitglieder der Klasse, die Klassenleitung und mindestens eine Fachkraft von FAIR.STÄRKEN.
- Angeboten werden die Trainings von der ersten bis zur neunten Klasse.
- Je nach Altersstufe ändert sich das Anforderungsprofil an die Ausgestaltung der jeweiligen Stunde, während die thematischen Inhalte weitgehend gleichbleiben. Bei jüngeren Kindern stehen spielerische Elemente im Fokus. Jugendliche benötigen oft ernstere oder kompetitivere Angebote und sind fähig, komplexere Gruppenarbeiten durchzuführen.
Wirkung des Klassentrainings
Schon nach wenigen Wochen stellen sich meist erste kleine Erfolgserlebnisse ein. Oft fängt es im ersten Stuhlkreis und im Abschlusskreis an, wenn es immer mehr Teilnehmende schaffen, offen über ihren Gemütszustand zu sprechen und die Stunde zu reflektieren. Auch die Offenheit für neue Spiele oder Methoden nimmt schnell zu, da die Erfahrung gemacht wird, dass die meisten neuen Sachen Spaß bringen. Zusätzlich kann häufig beobachtet werden, dass bearbeitete Themen von Jugendlichen reproduziert werden, die Klasse immer stärker zusammenwächst und die Trainer:innen zu Vertrauenspersonen werden.
Am Ende eines Trainings ist die Betroffenheit von Seiten der Schülerinnen und Schüler meistens sehr hoch, und wenn Teilnehmende und Trainer:innen sich auch Jahre später wiedersehen, wird mit Freude über die gemeinsame Zeit und das Gelernte gesprochen. Oft gibt es auch ein Dankeschön zu hören, da das Klassentraining für die Lebensbewältigung von großem Nutzen gewesen ist.
*Alle Namen geändert
Bericht: Philipp Pretz (Pädagogische Fachkraft, AAT®/CT®-Trainer bei FAIR.STÄRKEN e.V.)
Fotos: FAIR.STÄRKEN e.V.
Ausflug in die Selbständigkeit – Geflüchtete Mütter lernen Alltag
Ausflug in die Selbständigkeit – Geflüchtete Mütter lernen Alltag
Wenn wir uns um geflüchtete Kinder und Jugendliche kümmern, heißt das natürlich auch, dass wir auch die Eltern unterstützen. Das Ankommen in Deutschland ist schon schwierig genug, die Erlebnisse müssen verarbeitet werden und dann die fremde Sprache. Hinzu kommen Alltäglichkeiten, die für uns völlig normal sind, aber für geflüchtete Menschen eine fast unüberwindbare Hürde darstellen können.
Unsere Mitarbeiterinnen sind in verschiedenen Geflüchtetenunterkünften in Köln unterwegs und empowern vor allem die Mütter zu mehr Selbständigkeit, geben Hilfestellungen und wertvolle Tipps. Für viele von ihnen ist der Umgang mit Geld, Bankgeschäften und allem, was damit zu tun hat, nicht selbstverständlich.
Ich gehe mal eben zur Bank …
Das sagt sich so leicht, wenn man hier aufgewachsen ist, und der Automat deine Sprache spricht. Dennoch sind Dinge, wie Geld abholen, Zinsen bei Überziehung des Kontos, Überweisungen, Umgang mit Geld etc. notweniges Alltagswissen.
Eine Frau in der Gruppe war sehr aufgeregt, als sie vor dem Geldautomaten steht: „Ich habe richtig Herzklopfen. Sowas habe ich noch nie gemacht.“ gibt sie zu. Einfühlsam erklären unsere Mitarbeiterinnen die fremde Technik und das Prozedere. Dabei werden die Tasten und Anzeigen übersetzt und die Bedeutungen erklärt. Natürlich wird auch fleißig geübt: Es werden Ein- und Auszahlungen getätigt und Kontoauszüge ausdruckt. Die Frauen sind sehr interessiert und stellen Fragen, schließlich geht es um ihr Leben und das ihrer Kinder. Mehr Unabhängigkeit, gerade in Finanzangelegenheiten, bedeutet mehr Sicherheit für die Familie.
In der Postfiliale oder am Automaten
Amtsschreiben, Päckchen, Einschreiben oder sonstige Post will auch richtig frankiert auf den Weg gebracht werden. Gemeinsam werden die Briefmarkenautomaten erkundet und geübt, wie man die Adresse richtig auf den Umschlag platziert. Und natürlich werden gleichzeitig alle neu gelernten Vokabeln gepaukt.
Der Ausflug war für die Mütter sehr aufregend, sie haben viel Neues gelernt. Gemeinsam lassen sie bei einem Glas Tee den Tag Revue passieren und besprechen noch offene Fragen. Das nächste Mal haben sie bestimmt schon so viel mehr Selbstsicherheit, um die „kleinen Alltäglichkeiten“ selbstständig erledigen können.
Kinder- und Jugendarbeit – Arbeit mit der ganzen Familie
FAIR.STÄRKEN arbeitet viel mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen, die oftmals Gewalterfahrungen, Flucht und Ausgrenzung in ihren jungen Jahren erleben mussten. In unseren Angeboten empowern wir vor allem die Mütter, geben ihnen Sicherheit und Perspektiven, versorgen sie mit notwendigem Wissen, um in ihrer neuen Heimat richtig anzukommen und sich auch Willkommen zu fühlen. Wir nehmen ihnen dadurch viel Stress, geben Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein. Das kommt dann der ganzen Familie zugute.
Bericht: Claudia Heinrich
Fotos: FAIR.STÄRKEN e.V.