ALINE ERZÄHLT, WIE SIE NACH DEUTSCHLAND GEKOMMEN IST – EIN INTERVIEW
ALINE DE MAGALHAES ist Diplom-Sportwissenschaftlerin und Trainerin für Soziales Lernen und Gewaltprävention. Seit sieben Jahren arbeitet sie bei FAIR.STÄRKEN. Zeit für eine Zwischenbilanz:
Liebe Aline, kannst Du uns erzählen, warum Dir die Arbeit bei FAIR.STÄRKEN wichtig ist?
Es ist mir eine Herzensangelegenheit, dass Kinder und Jugendliche aus schwierigen Lebensverhältnissen dieselben Chancen bekommen wie Kinder, die schon früh viele Privilegien erleben. Ganz sicher spielt dabei meine eigene Geschichte eine wichtige Rolle. Ich habe früh gesehen, wie es Kindern geht, die unter schwierigen Bedingungen aufwachsen. Armut, Gewalt und Ungerechtigkeit können das ganze Leben prägen. Und deshalb will ich ein Teil der Veränderung sein, die Kindern eine bessere Zukunft ermöglicht.
Magst Du uns ein wenig aus Deinem eigenen Leben erzählen?
Ich lebe seit 2001 in Deutschland. Ursprünglich aufgewachsen bin ich in Brasilien, in einem Viertel am Rand von Sao Paulo. In den 80er-Jahren veränderte sich die Gegend sehr plötzlich sehr stark. Viele Familien drängten vom Land in die Stadt. Das Viertel wuchs in einem unglaublichen Tempo – total unkontrolliert. Dadurch nahm auch die Gewalt unglaublich schnell zu. Im Laufe der Jahre musste ich mitansehen, wie viele meiner Schulfreunde ihr Leben verloren – manche, weil sie in kriminelle Strukturen hineingerutscht sind, andere, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Wieder andere starben an Krankheiten, die mit ein bisschen sauberem Wasser oder einem Arztbesuch behandelbar gewesen wären.
Welche Rolle spielte Deine eigene Familie dabei?
Was unsere Familie von den Familien in den Favelas unterschied, waren im Grunde nur ein paar Meter und eine Kurve auf der Straße. Meine Eltern waren beide berufstätig und hatten angesehene Jobs. Unser Haus hatte Wände aus Zement, ein Dach, eine Küche. Wir hatten sauberes Wasser, wir hatten Schuhe und manchmal Geld für eine Schuluniform. Diese einfachen und oft selbstverständlichen Dinge waren ein minimaler, aber ein entscheidender Unterschied. Ich habe sehr früh gespürt, wie ungleich Kinder behandelt werden. Einfach, weil sie arm sind. Für mich war früh klar: Alle Kinder sollten die gleichen Chancen haben.
Was willst Du mit Deiner Arbeit erreichen?
Mein Ziel ist es, Kindern und Jugendlichen eine echte Perspektive zu geben – besonders dann, wenn sie aus schwierigen Verhältnissen kommen. Ich möchte dazu beitragen, dass diese Kinder ihr Potenzial entdecken und eine selbstbestimmte Zukunft gestalten können. Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, wie wichtig dabei Bildung, Unterstützung und Wertschätzung sind. Im Kern geht es dabei nicht nur um individuelle Entwicklung, sondern auch um mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit in unserer Gesellschaft.
Ich wünsche mir, dass es mehr Möglichkeiten für Kinder gibt, dass sie der Armut, in die sie hineingeboren werden entkommen und dass sie sein können, was sie sein möchten. Ich kann zwar nicht ändern, dass es Ungleichheit in der Gesellschaft gibt, aber ich will, dass möglichst viele Kinder erleben und spüren können, dass sie selber stark genug sind, etwas zu verändern. Und damit können sie auch die Welt verändern.
Vielen Dank, liebe Aline für Deine Arbeit und die Veränderung, die Du hier bewirkst! Toll, dass Du da bis! Und wer außerdem noch wissen will, wie Jugendliche aus Alines Gruppen die Arbeit erleben, kann das nachlesen in dem Interview mit Nazanin – hier im Blog.
Interview: Tatjana Mischke
Fotos: FAIR.STÄRKEN e.V.